Achtung SPOILER: Der Folgende Text kommt nicht um die Besprechung der groben Handlungsabläuge des Festspiels und konkrete Beispiele aus der Aufführung 2019 herum. Falls du den Drachenstich noch nicht kennst und/oder dich von der Aufführung selbst überraschen lassen willst, solltest du diese Seite nun verlassen und nicht weiter lesen.

Der Drachenstich in Furth im Wald – deutschlands wahrscheinlich größtes Festspiel – spielt in einer Zeit des Krieges. Die Böhmen ziehen nach der Hinrichtung eines Kirchenkritikers und Reformators Jan Hus in den Krieg, ein gewaltiges Heer Deutscher Ritter tritt ihnen an der deutsch-böhmischen Grenze auf Anordnung des Papstes entgegen. Während die Städte und Dörfer der Grenzregion von feindlichen und verbündeten Soldaten geplündert werden und die schutzlose Bevölkerung im Schloss einer edlen Dame – von der Bevölkerung Ritterin gennant – Obdach sucht, fürchten die Further etwas viel schlimmeres, als Vergewaltigung, Mord und Zerstörung. Denn unter dem Feld, auf dem die Heere aufeinandertreffen und sich dahinraffen, so sagt man, schlummert eine urgewaltige Bestie, – vor langer Zeit durch ein selbstloses Opfer gebannt -, die nur darauf wartet, dass die vom bösen Blut getränkte Erde sie wieder frei gibt, und ihren Hunger zu stillen. Durch Verrat, Gewalt und Verdeben des Krieges bewahrheitet sich schließlich die Befürchtung, der Drache erwacht.

Die Darsteller und ihre Leistungen am Abend der Premiere waren großartig. Vom aufmüpfigen, einarmigen Knappenjungen und Bauersfrauen über Kampfchoreographien und durchrasenden, schwer bewaffneten Kampfwagen und Reitern bis zu Ritter Udo, der Ritterin und derren bösartigem Onkel (der mich auf eine positive Art und Weiße im Aussehen an Alligatoah erinnerte) haben alle der Darsteller ihren Rollen charakter, tiefe und Glaubwürdigkeit geschenkt.

Krieg und Zerstörung, Fliehende und Vertriebene, Fremden- und Religionsfeindlichkeit, bequeme und selbstbgerechte Politik: das sind die Themen, die seit jeher zur Rahmenhandlung des Festspiels gehören. Mit großartigen Dialogen, intelligentem Wortwitz und herzlicher Leichtigkeit in den richtigen Momenten lässt es sich die diesjährige Interpretation trotzdem nicht nehmen, auf die akuten und umstrittenen gesellschaftlichen Themen ausführlich einzugehen – und scheut dabei auch nicht davor zurück, klare Statements auszusprechen.

So zitiert die Ritterin, als das Dorf von Vertriebenen überrumpelt wird und die Ratsherren die Menschen davon jagen lassen wollen, in bitterernster Miene die vielleicht bekannteste Aussage der deutschen Bundeskanzlerin Frau Merkel neben dem Neuland: „Meine Herren, wir schaffen das!“

Wenig Später betreten zwei Figuren mit einem „Schalom“ im Stile des kultigen „Servus“-Grußes aus Bully Herbigs „Der Schuh des Mannitu“ die Bühne. Ich muss zugeben, ich war wegen der empfindlichen Vergangenheit dieser Gesellschaft kurz skeptisch, ob dies eine anständige Behandlung der Thematik erreichen würde, wurde aber sehr schnell vom Gegenteil überzeugt. Die Figuren der beiden Juden, Vater und Sohn, historisch bedingt Geldleiher von Beruf, nehmen eine relativ kurze, jedoch äußert liebevoll gestaltete Schlüsselrolle ein und erhalten einen großartig ausgeleuchteten Leidens- und Lebenshintergrund, sowie eine glaubhafte Darstellung ihrer schwierigen Situation – vom Großteil des Gesellschaft gehasst zu werden und gleichzeitig in Zeiten des Krieges dazu gezwungen zu werden, trotz Widerwille Geld zu verleihen. Als im weiteren Verlauf der Kardinal als Gesandter des Papstes eintrifft, schließen sich böhmischer Geistlicher, Jude und ein Muslim – im Stück als „Türke“ bezeichnet – zusammen, um den Kardinal entgegen der Manipulation seines Sekretärs gegen den Krieg zu stimmen. In einer sehr eindrucksvollen Erzählung erkennen die drei Gläubigen, dass alle Ihre Religionen nebeneinander existieren und mit einander Leben können, und, dass all ihre Religionen sich in einem Punkt einig sind: „DU SOLLST NICHT TÖTEN!“ brüllen sie dem Sekretär des Kardinals entgegen, der kurz zuvor „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zitiert hat.

Das letzte und wahrscheinlich härteste Statement jedoch kommt weder von einem Adeligen, noch einem Geistigen. Es ist eine Bäuerin, die dem als Verräter entlarvten „Pfleger des Dorfes“ und Onkel der Ritterin einen Satz hinschmettert, der wahrer und aktueller kaum sein könnte.

Die Welt ist zu komplex für einfache Lösungen!
Wer einfache Lösungen verspricht, hat gar keine Lösungen!

– Drachenstich 2019

Dies sind die Momente, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind, die besonders viel Szenenaplaus erhielten oder über die ich am Abend des folgenden Tages immer noch schmunzeln muss.

Ich muss zugeben, ich war im Moment überrascht von der Klarheit der ausgesprochenen Statements, von der ungewohnten Härte der Positionen. Aber ich begrüße es. Ich wünsche mir, das noch mehr Kultur und derren Schaffer eine klare Stellung zu den treibenden, dominierenden Themen unserer Gesellschaft beziehen.

Denn Kultur ist nicht nur die Vergangenheit und das, was die Vorfahren bisher geleistet haben. Kultur prägt und sichert die Existenz, Normen und Regeln einer Gesellschaft, sie ermöglicht das zusammenleben.

Erst Kultur macht den Menschen wirklich menschlich – erst recht sich selbst gegenüber.


Das älteste Volksschauspiel in Deutschland läuft noch bis zum 18. August 2019 (auch geeignet für Kinder). Informationen und Karten zur Veranstaltung findet man unter www.drachenstich.de