Das Internet ist ein seltsamer Ort und hat seit beginn der Social Media regelmäßig mit seltsamen und durchausfragwürdigen bis gesundheitsschädlichen Trends hervorgebracht, die am gesunden Menschenverstand und der Spezies Mensch an sich so einige Zweifel aufkommen lassen.

Der neue Internet-Trend: Ausländerhass

Seit Ende März kursiert auf der Kurznachrichtenplattform Twitter in rechtsextremen Kreisen nun ein Hashtag, der das niedrige Niveau der bisherigen Trends wie der „Bier Challenge“, der „Tide Pod Challenge“ oder „Fire Challenge“ zur hochintellektuellen Unterhaltung befördert, denn unter dem Hashtag #Abschiebechallenge“ nominieren Rechtsextreme nun deutsche Politiker und Prominente mit ausländischen Wurzeln, Namen oder Ursprungsland für eine Abschiebung.

Der konkrete Ablauf ist denkbar einfach und unkreativ: der Teilnehmer bedankt sich erst mit einer Markierung bei demjenigen, der ihn nominiert hat, dann macht er einen Abschiebungsvorschlag und nominiert anschließend zwei weitere seiner geistig zurückgebliebenen Sippschaft.

Claus Cremer, NPD Landesvorsitzender NRW , Mitglied des NPD-Parteivorstandes und Stadtrat in Bochum
Ricarda Riefling, bezeichnet sich selbst als „Aktivistisch und Revolutionär“.
Udo Voigt, EU-Abgeordneter der NPD

Prominenter Gegenwind

Glücklicherweise sprechen die Kommentare der Abschiebe-Beiträge eine andere Sprache und auch Prominennte verurteilen den Trend in gesonderten Tweets. Bis auf Twitter Deutschland.

Der Comic-Zeichner Ralph Ruthe schreibt dazu am 3. April folgendes:

Nachdem jetzt mehrere Jahre lang so getan wurde, als wäre es irgendwie sinnvoll mit Rechten zu reden und ihnen regelmäßig eine Plattform in den Medien geboten wurde: können wir uns bitte einfach ein für alle mal darauf einigen dass NAZIS RAUS! #Abschiebechallenge

Ralph Rute, @ralphruthe, https://twitter.com/ralphruthe/status/1113397218864766977

Der Twitteraccount der Show „Late Night Berlin“ von Klaas Heufer-Umlauf macht daraus direkt ein kostenloses Freizeitangebot:

Perfekter Zeitvertreib:

• Hashtag #Abschiebechallenge eingeben

• alle geisteskranken Hass-Tweets von Nazis melden

• auf „fällt unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ klicken

• aktualisieren und von vorne beginnen

Late Night Berlin, @latenightberlin, https://twitter.com/latenightberlin/status/1113375893962010624

Einige Nutzer drehen den Spieß auch um und nominieren entgegen der Ursprungsidee direkt die komplette NPD für eine Abschiebung oder treiben die Nazis zur Selbstentlarvung.

Quelle: https://twitter.com/FrHeister/status/1113333553926950913

Quelle: https://twitter.com/keeev00/status/1112794011696353285
Quelle: https://twitter.com/JenerFloh/status/1112791694733402116
Quelle: https://twitter.com/Heart_No_Hate/status/1113405578158792704

Twitter: die drei Affen

Nachricht von Twitter an Ricarda Riefling.

Bemerkenswert sind dennoch zwei Dinge:
Erstens hetzen unzählige rechtsextreme – auch politische Prominente – unter Klarnamen gegen Mitbürger, zweitens – und das ist wirklich äußerst bemerkenswert – ist Twitter Deutschland nicht gewillt, dagegen etwas zu unternehmen. So veröffentlicht die besonders deutschnamige Ricarda Riefling etwa stolz die Nachrichten der Plattform, in der sie darüber informiert wird, dass ihr Beitrag gemeldet wurde, aber keine Konsequenzen fürchten muss.

Twitter entzieht sich seiner Verantwortung gemäß der drei Affen, die nichts sehen, nichts hören und nichts sagen. Obwohl der Account von Twitter Deutschland (@TwitterDE) in dieser Thema mehrmals von unterschiedlichen Nutzern adressiert wurde, hält das Unternehmen es nicht für nötig, sich dazu zu äußern oder sich wenigstens davon zu distanzieren. Dabei wurde doch im September 2017 extra ein Gesetz verarbschiedet, das solchen Vorkommnissen eigentlich vorbeugen sollte: Das Netzdurchsetzungsgesetz.

Dieses Zwergenwerk namens „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ definiert im §1 von 6 unter dem Namen „Anwendungsbereich die Fälle, unter denen es anzuwenden ist. Absatz 3 tut dabei nichts anderes, als eine Liste von existierenden Paragraphen des Strafgesetzbuches aufzulisten, nennt allerdings den §130 – „Volksverhetzung“ – als Anwendungsgrundlage. Die Subüberschrift eines Artikels des Tagesspiegels stellt fest: „Im Strafgesetzbuch werden rassistische Äußerungen als Volksverhetzung eingestuft.“ und tatsächlich braucht man kein Rechtswissenschaftler sein, um das Hetzerische in der Kampagne zu erkennen, die sich gezielt gegen eine Bevölkerungsminderheit richtet.

Mein Fazit

Es ist nicht neu, dass (Neo)-Nazis gerne plumpe Kampagnen durchführen, um sich zu profilieren und Konservativen mit rechten Tendenzen das Gefühl zu geben, nicht alleine zu stehen. In dieser Kampagne entsteht ein Gefühl der Gruppenzugehörigkeit – eines der wenigen positiven Erlebnisse, die diese Menschen wohl in ihrem ganzen Leben machen, im Zusammenhang mit einer sehr negativen Sache -, indem man sich gegenseitig die Nominierungen zuschanzt, einzelne Individuen ausgrenzt und sie an den Pranger stellt. Die Gegenstimmen der Nutzer sind zahlenmäßig und angesichts der bissigen Wortgefechte auch intellektuell deutlich überlegen. Gerade auch die öffentliche Positionierung von Prominenten gegen die Hasskampagne setzt ein klares, kompromissloses Zeichen gegen Rassismus und Hetze.

Angesichts der gerade veröffentlichten Ergebnisse der Polizeilichen Kriminalstatistik 2018 (Originallink), dass Deutschland verglichen mit den Vorjahren noch sicherer geworden ist, und der Tatsache, dass zur Abschiebung nominierte Personen wie Cem Özdemir gebürtige Deutsche sind, wirkt die Abschiebechallenge in meinen Augen eher seltsam komisch und unterhaltsam dümmlich als tatsächlich bedrohlich, davon unangetastet schlichtweg indiskutabel. Als denkwürdig empfinde ich die Haltung von Twitter, diese offensichtlich bösartigen, menschenverachtenden und hetzenden Beiträge nicht zu löschen, obwohl es eine ganz klare, für den Laien ersichtliche Rechtsgrundlage gibt.

Von unserer Politik würde ich mir wünschen, sich einmal ernsthaft mit derartigen Problematiken auseinanderzusetzen und dabei nicht nur Krüppelfichten wie das NetzDG hervorzubringen, statt sich die Finger aufgrund von Ahnungslosigkeit an fragwürdigen anderen Leuchtturmprojekten in der Digitalitlandschaft zu verbrennen. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum und zu vielen Nutzern ist nicht klar, wo die Meinungsfreiheit endet, das Recht eines Anderen und damit einhergehend auch eine mögliche Straftag beginnt. Diese Grenzen gilt es in Zeiten, in denen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Rassismus wieder salonfähig geworden sind und an Unterstützern gewinnen, stärker abzustecken und klarer zu definieren. Vielleicht auch unter dem Aspekt, dass das Beleidigen, Verleumden und Beschimpfen hunderttausender EU-Bürger – wie geschehen während des Polit-Krimis um die EU-Urheberreform – seitens Politiker im Internet strafbar wird.