Rechte Hand auf die geschwellte Brust, dann ein energischer Schwung nach rechts oben: zweimal zeigte Elon Musk nach Trumps Wahlsieg in den USA vor laufenden Kameras und Millionenpublikum die Geste, bekannt als Hitlergruß. Die ganze Welt sah zu und war entsetzt.

Die ganze Welt?

Nein.

Eine gar nicht mal so kleine Gruppe unermüdlicher Musk-Fans leistet den Anschuldigungen erbittert Widerstand.

Denn: 

1. – er ist ein Autist und hat sich gefreut.

Welche Geste wäre wohl passender, wenn ein Autist sich freut, als der Hitlergruß?

Auch als Autist weiß man, was der Hitlergruß ist und um seine schwerwiegende Bedeutung. Dieses Argument entbehrt nicht nur jeglicher sachlichen Grundlage, sondern ist auch ableistisch, und stellt alle Autist:innen pauschal als unfähig dar, die Bedeutung eines solchen Symbols zu verstehen. Dabei ignoriert es den häufig stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, der viele Autist:innen prägt. Verfolgt man dennoch diesen Ansatz, wäre es doch eigentlich nur konsequent, dem reichsten Mann der Welt, der wegen seines Autismus folglich als unzurechnungsfähig einzustufen ist, zum eigenen Wohl und dem Wohle aller das Geld abzunehmen.

Nicht, dass er aus einer Laune heraus irgendeine Internetplattform kauft…

2. – das war die „Giving you my heart“ – Geste.

Nein, war es nicht. Es gibt etliche Videos, in denen Musk auf der Bühne steht und alle denkbaren anderen Armbewegungen macht, die keinesfalls mit irgendeiner rechtsextremistischen, geschichtlich gravierend vorbelasteten Geste wie dem Hitlergruß verwechselt werden konnten. Im Gegenteil: sie wurden international und kulturübergreifend richtig Verstanden.

Einen 1:1 Vergleich der beiden Gesten Musks findet man beispielsweise auf TikTok (sofern man diese Plattform nutzen möchte)

Musk macht die "giving you my heart" - Geste zu Beginn eines jährlichen Treffen von Tesla-Aktionären 2023
Musk macht die „giving you my heart“ – Geste zu Beginn eines Treffens mit Tesla-Aktionären 2023

3. – das war der „Römische Gruß“.

Vor allem bekannt von Gaius Julius Cäsar aus „Asterix und Obelix“ ist damit der Gruß gemeint, den römische Feldherren beim Triumphmarsch nach einem siegreichen Feldzug dem römischen Volk zeigten, während sie sich feiern ließen (wenn das mal nicht an gewisse Veranstaltungen auf dem Reichsparteitagsgelände der Nazis erinnert…).

Der „Saluto Romano“ (lat. / it. für „römischer Gruß“) wurde vom Diktator des Dritten Reichs – Adolf Hitler – in den 1920ern als Mittel für Personenkult und Propaganda übernommen und steht seitdem unwiederruflich im Kontext des Nationalsozialismus.

Etwas seltsam mutet dieses vermeintliche Gegenargument auch insofern an, als das römische Imperium Vorbild für Hitlers Vision vom „tausendjährigen Reich“ war und die Römer während ihrer stetigen Expansion ab der Gründung Roms 753 v.Ch bis zum Untergang rund 1200 Jahre später systematisch unzählige Völker besiegten, versklavten, kulturell assimilierten oder gar komplett auslöschten.

Als „Drittes Reich“ reihte Hitler sich mit seinen Machtfantasien ein hinter dem Ersten Reich – dem „heiligen Römischen Reich deutscher Nation“ (962 bis 1806) –, und dem Zweiten Reich – dem deutschen Kaiserreich (1871-1918).

[Scherl] Reichsparteitag 1937. Der grosse Appell des Reichsarbeitsdienstes auf dem Zeppelinfeld. Übersicht während der Rede des Führeres.
11651-37

Entgegen dem römischen Imperium existierte Hitlers Drittes Reich zum Glück deutlich kürzer.

Fakten

  • Mit der Übernahme Twitters durch Musk erlebte der Kurznachrichtendienst eine Flut von rechten und rechtsextremen Accounts, die Rassenideologie, Fremdenfeindlichkeit, LGBTQ+-Phobie und viel weiteres klassisch rechtes Gedankengut verbreiten.
  • Musk unterstützte Trump, der wieder und wieder rassistische und rechtsextreme Aussagen und Amtshandlungen tätigte, mit mehreren hundertmillionen US-Dollar im Wahlkampf.
  • Musk führte jüngst ein öffentlichkeitswirksames Wahlwerbegespräch mit Alice Weidel, Kanzlerkandidatin der vom Verfassungsschutz teilweise als gesichert rechtsextrem eingestuften AFD, und philosophierte mit Ihr darüber, Hitler sei Kommunist gewesen (was ebenfalls eine beliebte rechtsextreme Erzählung ist).

Es gibt Zeichen, Insignien und Gesten, die unwiderruflich mit schrecklichen Ereignissen verbunden sind und zurecht in Deutschland verboten wurden und weltweit geächtet sind.

Der Hitlergruß steht nicht nur für den Personenkult um Hitler. Er steht für die Zersetzung, Vergiftung und Gleichschaltung einer Gesellschaft, für die Abschaffung von Individualität, Einigkeit, Recht und Freiheit. Er steht für Kadavergehorsam, Bücherverbrennung, Kulturzerstörung; für unzählige Kriegsverbrechen, den Völkermord an Sinti und Roma. Er steht mit dem Holocaust für die Verschleppung und industrielle Ermordung hunderttausender Jüdinnen und Juden, Zerstörung und Elend.

Der Hitlergruß als Huldigung desjenigen, der alle Fäden in der Hand hielt und steuerte, ist Sinnbild für eine menschen- und lebensverachtende Ideologie, die die ganze Welt in Flammen tauchte, in Tod und Verderben stürzte und unaussprechliches Leid über die gesamte Menschheit brachte. Er steht für Verbrechen gegen die Menschlichkeit; also Verbrechen an dem, was uns angeblich vom Tier unterscheidet.

Heute wird er von alljenen genutzt, deren Weltbild das absolute Negativ einer toleranten, freiheitlichen, offenen und fortschrittlichen Gesellschaft darstellt; deren Bestrebung es ist, Meinungsfreiheit zu beschneiden und Hass und Zwietracht zu säen, die Legitimation des Staates und gewählter Vertreter zu untergraben und unsere Demokratie zu zersetzen.

Kein Raum für Interpretation

Taten sprechen für sich. Was getan ist, ist getan; So, wie es getan wurde.

Es ist egal, was die Absicht war, was „gemeint“ war, wie man es auslegen soll, damit es nicht falsch ist. Um das zu erkennen braucht es keine Fähigkeiten in Gedichtinterpretation oder komplexe Erklärungen. Es genügt Ockhams Rasiermesser, also das Prinzip der Sparsamkeit und Einfachheit:

Was aussieht wie der Hitlergruß, ist der Hitlergruß.

Wenn ich hier und jetzt jemandem einen Kinnhaken gebe wird mich im Gerichtssaal niemand Fragen, wie ich das denn gemeint habe, und ob es sich vielleicht um eine vom Opfer missverstandene Geste handelt. Und natürlich werde ich behaupten, ich hätte dem Geschädigten gar nicht ins Gesicht geschlagen, denn ich werde mich nicht selbst belasten. Auch wenn es von Millionen Menschen gesehen und durch jede Schlagzeile und Nachrichtensendung gejagt würde. Ich werde sagen „nein, diese Anschuldigung ist lächerlich, das habt ihr falsch verstanden.“ Und wer mir glauben will, der wird mir glauben. Der gebrochene Kiefer, die Gehirnerschütterung des Opfers aber bleiben.

Für die Verleugnung der Realität haben wir keine Zeit mehr.

Man macht den Hitlergruß nicht aus Freude – ebenso wenig, wie man als halbswegs zivilisierter Mensch jemandem vor Freude ins Gesicht schlägt. Es sei denn, man ist dumm, oder ein Rechtsextremist, der sich im Moment trotz oder gerade wegen eines Millionenpublikums dabei sehr sicher fühlt.

Und das sollte uns die eigentlichen Sorgen bereiten.

Denn er weiß, was er tut

Dumm ist Elon Musk meiner Meinung nach keineswegs. Musk ist Inszenator durch und durch. Er weiß genau, welche Wirkung er erzielt, welche Nachricht er transportiert, und, dass er dadurch Grenzen verschiebt. Wie alle anderen Rechtsextremen kalkuliert er darauf, dass ihm wieder und wieder Ungeschick, Harmlosigkeit und Tollpatschigkeit unterstellt wird. So, wie 2016 der berühmte „Mausrutscher“ von Beatrix von Storch oder der angebliche Sprechgesang „Alice für Deutschland“ einiger AFD-Anhänger, der sich auf den Videoaufnahmen verdächtig nach dem in Deutschland verbotenen und strafbaren SA-Spruch „Alles für Deutschland“ anhört.

Der reichste Mann der Welt, der mit dem bisher populärsten Kurznachrichtendienst der Welt in seiner Hand unvorstellbare Gewalt über Öffentlichkeit und Framing besitzt, der den mehrfach verurteilten Straftäter und Kapitolsturmanstifter Donald Trump beim Wahlkampf unterstützte und für rechtsextreme Parteien in Deutschland Wahlwerbung machte mit dem Spruch „Nur die AfD kann Deutschland retten“, ist mit Sicherheit eines nicht: ungeschickt, harmlos oder tollpatschig.

Jedes Mal wird die Grenze des Sagbaren ein Stück weiter verschoben und ausgereizt. Was gestern noch undenkbar war, wird heute diskutiert und morgen normalisiert. Das ist keine Naivität – es ist Kalkül und macht den Faschismus wieder bühnen- und öffentlichkeitstauglich.

Die Diskussion darauf zu verschieben, ob ein Hitlergruß nun wirklich ein Hitlergruß ist, oder aus welchen fadenscheinigen Gründen auch immer anders verstanden werden müsse, ist reine Augenwischerei und Zeitverschwendung. Ein Mann mit unvorstellbarer Macht und unbegrenztem Einfluss hat sich der Symbolik eines Terrorregimes bedient. Das ist – wie der beispielhaft angeführte Kinnhaken – ein wortwörtlicher Schlag ins Gesicht aller, die durch den Nationalsozialismus Ihre Heimat, ihre Familie, ihre Zukunft und ihr Leben verloren. Es verachtet die Traumata der Überlebenden und Vertriebenen und auch alljene, die Ihr Leben riskierten, um dem Albtraum mit hohem Blutzoll ein Ende zu bereiten.

Wer diese Tatsachen verharmlost, anders zu interpretieren sucht oder schlicht nicht wahr haben möchte, der ist nicht „neutral“ oder „unpolitisch“, nicht „Mitte“ oder „macht sich selbst ein Bild von den Fakten“. Die Gefahr, die von solchen Gesten und ihrer Verharmlosung ausgeht, liegt in der schleichenden Normalisierung und Gewöhnung an das für uns Unvorstellbare. Wenn Grenzen immer weiter verschoben werden, gerät nicht nur unsere Demokratie in Gefahr, sondern auch der gesellschaftliche Zusammenhalt und das für uns Selbstverständliche. Wer diese Tatsachen ignoriert oder schönredet, ist selbst Teil des Problems. Wer diese Tatsachen ignoriert, der macht sich mitschuldig.