Lieber Einzelhandel,
ich breche mit dir.
Lange habe ich versucht, die Dinge in deinen Filialen zu kaufen, in kleinen Läden, in Familiengeschäften in der Innenstadt. Ich habe versucht, regionale Arbeitsplätze zu unterstützen, faire Preise und Löhne, von denen deine Mitarbeiter und Angestellte gut leben können.
Seit fast zwei Jahren stellst du mich vor eine Entscheidung. Eine Entscheidung, die nie zu deinen Gunsten ausfallen konnte. Heute habe ich Sie formuliert, gefallen ist sie wohl schon vor einer ganzen Weile. Denn vor zwei Jahren wurde ich schwer und chronisch krank. Seitdem ist alles anstrengend, langsam, zermürbend. Ich habe nicht mehr die Kraft, nicht mehr die Geduld, nicht mehr die Muße, für nur ein paar neuer Socken zehn Geschäfte zu besuchen in der Hoffnung, dass man hier Größe 47-49 führt. Ich habe nicht mehr die Geduld, mir für horrende Preise unpraktischen Müll aufschwatzen zu lassen, der die gestellte Problemsituation wenigstens verschlimmbessert, viel eher aber verschlimmert. Konkret denke ich da an meine Suche nach einem Küchenrollenhalter, den man unter den hängenden Küchenschrank kleben kann. Du, lieber Einzelhandel, wolltest mir eine unbehandelte Holzscheibe mit unsauber darauf verschraubtem Stock in der Mitte für fünfzig Euro als geniale und ästhetische Lösung verkaufen; nicht in einem oder zwei Geschäften, nein! In ALLEN! Das Geld für diese unglaublich tolle Erfindung, von der du in mehreren Städten noch nie etwas gehört hattest – ein gebogenes Alublech mit Obi-Saugnapf – ging an Amazon. Denn du, lieber Einzelhandel, konntest dieses Problem nicht lösen.
Ich bin ein einfacher und pragmatischer Mann. Ich brauche keine besonders tollen Gläser, kein besonders schnörkeliges Besteck, keine Markenkleidung. Ich brauche Dinge, die im Alltag funktionieren, die praktisch sind und nicht im Weg. Zum Teil ist dies sicherlich mein Charakter, zum anderen Teil zwingt mich meine Erkrankung dazu.
Ich bin nicht mehr bereit und nicht mehr in der Lage, Stunden für ein paar Socken aufzubringen, für ein Hemd, das richtige PC-Kabel, etwas, das ich bereits besitze und gern in zweiter Ausführung hätte.
Und ich bin es leid, mir von deinen verzeifelten Angestellten wieder und wieder überteuerten, völlig nutzlosen Müll als die geheiligte Lösung verkaufen zu lassen, die – denkt man nur einen Schritt weiter – das Problem nicht löst, sondern ihm im Gegenteil eine ganz neue Dimension hinzufügt.
Lieber Einzelhandel, deine Läden stehen voll und doch wunderst du dich, dass du stirbst. Das Problem ist sicherlich nicht das Kaufverhalten der Kunden, das Problem ist dein Angebot.
Ich wollte gern bei dir einkaufen. Aber du hast mich verloren.
Beste Grüße
Kein Kunde