„Wissen ist Macht“
Francis Bacon, 1561–1626
Etwa vierhundert Jahre hat diese bedeutungsschwangere Feststellung des englischen Philosophen inzwsichen überlebt und trotz ihres Alters ist sie so wahr wie noch nie zu vor. Denn mit der Entwicklung der Telekommunikation zur Massentauglichkeit und der Etablierung des Internets als weltweites Hauptkommunikationsmittel ist auf der Erde ein Datensturm sondergleichen ausgebrochen. Nie in der Geschichte der Menschheit wurden pro Sekunde mehr Daten erhoben, zu Informationen aufbereitet und zeitgleich an Millionen von Empfängern verteilt. Nie zuvor waren wir so eng vernetzt und nie zuvor gab es so viele, deren Geschäft darin besteht, diese Daten zu analysieren und zu verwerten.
„Big Data“ lautet der Begriff, der im Zusammenhang mit diesen riesigen Datenmengen genannt wird, und Data Mining beschreibt mehr oder weniger die Profession, aus beinahe unendlichen Mengen von Rohdaten Informationen und Erkenntnisse zu gewinnen, die im kleineren Umfang unter Umständen nicht sofort oder gar überhaupt nicht gewinnbar sind.
Informationen, das sind Daten, die in einem bestimmten Kontext stehen und dadurch dem Besitzer einen Mehrwert in Form von Wissen liefern, und jeder, der die Vorzüge der modernen Welt wahrnimmt, hinterlässt unvermeidbar eine Spur seiner Informationen auf seinem Weg durch den Tag. In den Log-Files von WLan-Hotspots, im DNS-Cache und im Browserverlauf von Computern, mit dem aktivierten Handy in den Aufzeichnungen der Mobilfunkzellen, beim Zahlen via Paypal, Handy oder EC-Karte.
Anmerkung: Anhand von Funkzelle und GPS kann tatsächlich der Bewebungsablauf innerhalb einer Wohnung und jeder Gang aufs vermeindlich „stille Örtchen“ nachverfolgt werden.
Offensichtlich sind diese Daten höchst interessant für alljene, die durch das Wissen um diese Informationen Vorteile gewinnen könnten – und äußerst sensibel. Denn sie sind ein auf den Meter exaktes Logbuch unseres Lebens, quasi der Flugschreiber des Menschen unserer Gesellschaft.
Ein beeindruckendes Beispiel, was man schon mit den täglichen Veröffentlichungen eines Online-Magazins anstellen kann, lieferte der Data Scientist David Kriesel in seinem Vortrag „SpiegelMining – Reverse Engineering von Spiegel-Online“ auf der 33c3 des Chaos Computer Clubs (hochgeladen 29.12.2016).
Kurzfassung des Beitrags: Aus den gesammelten Artikeln und deren Metadaten zog der Datenspezialist unteranderem Rückschlüsse und zuverlässiges Wissen auf Autorenteams, Resort-Zugehörigkeiten, Urlaubsplanungen innerhalb der Firma Spiegel-Online und sogar Beziehungen und Partnerschaften innerhalb der Autorenschaft.
Das Genie beherrscht das Chaos
Albert Einstein
Die Macht der Datenanalyse und dessen, der über sie herrscht, wurde besonders eindrucksvoll 2016 während der Präsidentschaftswahlen in den USA demonstriert, als das Wahlbüro von Trump hunderttausende individuelle Wahlanzeigen an die verschiedenen Wählertypen via Facebook ausspielte, um für jeden Wähler den geeigneten Kandidaten darzustellen. Zwar wird der Effekt des sogenannten Micro Targeting im Nachhinein im Falle der Wahlen als relativ gering eingeschätzt. Doch im allgemeinen benutzerindividualisierten Marketing ist es eine unglaublich mächtige Methode, um jedem Kunden die perfekte Werbung zu präsentieren.
Kein Wunder also, dass neben internationalen Datenkraken wie Google und Facebook auch die Politik diesseits des großen Sees davon besessen ist, das Potential von Big Data zu ergründen. Allerdings nicht nur im Hinblick auf Wahlen.
Daten um des Vorrats Willen
Spätestens seit den ersten islamistisch motivierten Anschlägen in Europa – und interessanterweise selten bis gar nicht im Kontext mit rechtsextremen Verbrechen genannt – ist die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung in der Mitte der Gesellschaft angekommen und am 1. Juli 2017 sollte das „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht“ von CDU, CSU und SPD damit beginnen, empfindliche Daten der Nutzer für zehn Wochen zu speichern, nur zwei Tage vor Inkrafttreten des Gesetzes erklärte die Bundesnetzagentur allerdings die Aussetzung des Gesetzes. Weitere Informationen
Nur Tage davor wurde am 22. Juni 2017 mit einer Abstimmung über zwei Gesetzesentwürfe des deutschen Bundestages ein Überwachungsinstrument geschaffen, dass den Behörden mittels Spionage-Software umfangreich die Geräte von Privatpersonen überwachen und durchsuche dürfen. Mitteilung des deutschen Bundestages
Wahn und Geilheit auf Überwachung reichen bisweilen so weit – vor allem bei Politikern der älteren Generation – , dass man zum Wohle des Verfassungsschutzes sogar die Handys von Kindern staatlich überwachen lassen möchte. Im konkreten hat Bundesinnenminister Horst Seehofer vor, Handys von radikalisierten Kindern auch unter vierzehn Jahren zu überwachen und diese Informationen zu speichern.
Als interessanter Seiteneffekt sprießen zur Zeit deutschlandweit neue Polizeiaufgabengesetze aus dem Boden, die die Institution der Polizei sukzessive und gezielt mit den Mitteln von Nachrichtendiensten ausstatten und dabei den Gedanken des Rechtsstaates weit hintenan stellen. So kann nach dem neuen PAG des Freistaats Bayern und Freistaat Sachsen jeder bei der bloßen Vermutung einer geplanten Straftat ohne richterlichen Beschluss für bis zu drei Monate inhaftiert werden. Sind die drei Monate vorüber, können beliebig oft weitere drei Monate angehängt werden. Dabei hat der inhaftierte „Gefährder“ kein Recht auf einen Anwalt, denn – so absurd es klingt – man wirft ihm nichts vor, also muss er sich auch nicht rechtlich verteidigen. Dazu kommt das Recht, dass Polizisten mit dem neuen Gesetz Kriegswaffen auf Demonstrationen tragen dürfen. Konkret ist die Rede von Handgranaten, die „nicht tödlich“, aber gegen große Mengen sehr effektiv eingesetzt werden können.
Einen ausführlichen Beitrag zu dem Thema hielten die Journalistinnen Marie Bröckling und Constanze Kurz auf dem 35c3 des Chaos Computer Clubs.
Anmerkung: Der Begriff Gefährder ist ein völlig neues, juristisches Konstrukt und ist nicht weiter definiert. Ein Gefährder kann also im Prinzip jeder sein, der eine schiefe Nase hat, unangenehme Fragen stellt, gerade zur falschen Zeit am Falschen Ort ist, etc…
Der gerade herausgegebene Entwurf des IT-Sicherheitsgesetztes 2.0, ebenfalls von Horst Seehofer sieht inhaltlich vor, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik von einer rein passiven Sicherheitsbehörde zu einem aktiven Mitspieler im Internet zu befördern, unter anderem mit der Berechtigung, unsichere Systeme zu hacken und auf die Daten von Telekommunikationsanbietern zuzugreifen. Zudem kriminalisiert der aktuelle Entwurf das Anbieten von Anonymisierungsdiensten. Als kleines „Schmankerl“ oben drauf hebt dieser Gesetzesentwurf das Recht auf Aussageverweigerung auf (das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen), indem es mit bis zu sechs Monaten Strafe droht, wenn man den Ermittlern bei einem Verdacht – nicht die nötigen Passwörter für Plattformen und verschlüsselte Daten zur verrät. Zum Ausführlichen Artikel
Der momentan in der Abstimmung schwebende „Terror-Filter“ der EU stellt im Zusammenhang mit dem technisch bedingten Uploadfilter der EU-Urheberrechtsreform einen weiteren Mechanismus dar, der vermeintlich dem Guten dient, in der Praxis aber aufgrund seiner unmöglichen vorgesehenen Reaktionsfristen und schwammigen Formulierung ganz andere, demokratisch fragwürdige Mechanismen etabliert. Ausführliche Kritik am Terror-Filter .
Wie man das Chaos beherrscht, indem man die Bevölkerung überwacht
Spionage in den eigenen Reihen und das Ausspähen der eigenen Bevölkerung ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Welche grausamen und menschenverachtenden Ausmaße diese Praxis erreichen kann, haben Staaten wie die DDR oder Nordkorea eindrucksvoll vorgeführt. Ein ganz aktuelles Beispiel ist wohl China mit seinem gerade testweise anlaufenden Social Ranking, das seine Bürger auf Schritt und Tritt beobachtet und gegebenenfalls empfindliche Strafen auferlegt, die bis zum Reiseverbot reichen.
Maßnahmen wie das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 wirken im Zusammenhang mit der Überwachung der Handys Minderjähriger, dem Staatstrojaner und neuen Polizeigesetzen wie ergänzende Bauteile, um mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik eine deutsche NSA zu etablieren und die Bevölkerung mithilfe des Generalverdachts unter Vollzeitüberwachung zu stellen und zu entmüdnigen. Der dabei fast krankhafte Wahn, um jeden Preis – ja sogar entgegen der Verfassung eines Landes oder den „heiligen“ Grundrechten der EU – so viele Informationen über seine Bürger und Bewohner wie möglich zu sammeln und die inzwischen beliebte Idee von Content-Filtern, erinnert mich unangenehm an „1984“ von Georg Orwell – oder eben an die DDR. Das offensichtlich vorhandene Misstrauen der Politik gegen die Bevölkerung ist für mich dabei nicht in Worte zu fassen angesichts der Bereitschaft, als Mittel gegen Demonstranten ernsthaft den Einsatz von Handgranaten in Erwägung zu ziehen und dies ganz unverhohlen in einem Gesetz zu ermöglichen.
Denn betrachtet man die Statistik, zeichnet sich ein anderes Bild, als jenes, das von den Fürsprechern und Vorratsdatenfans propagiert wird und rückt die Sammelwut der Politik in ein extrem schlechtes und unangenehmes Zwielicht.
Vorfälle wie der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 zeigen, dass die Behörden andere Probleme haben, als mangelnde Zugangsmöglichkeiten zu Informationen über Straftäter und Terroristen. Die Ermittler wussten über den Attentäter Bescheid und waren von ausländischen Geheimdiensten sogar mehrfach gewarnt worden. Trotz der Warnungen und trotz der Überwachung und sogar Beobachtung des späteren Attentäters hat man nicht reagiert. In der Bundeswehr entstehen unter den Augen des Verfassungsschutzes rechtsextreme Netzwerke und es gelingt 460 Neonazis trotz Beobachtung und Haftbefehl unterzutauchen. Der Chef des Verfassungsschutzes zeigt rechte Tendenzen und bandelt unverschämt und in aller Öffentlichkeit mit rechtsextremen Parteien an und versehentlich werden bei Strafprozessen Akten vernichtet. Bei diesen Vorfällen handelt es sich nicht um einen Mangel von Informationen, sondern schlichtweg um funktionales Totalversagen aller betroffenen Organe und die Blindheit der zuständigen Kontrollinstanzen.
Die einzig logische Konsequenz wäre in so einem Falle nicht, die Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen und noch weiter in deren Privatsphäre vorzudringen, sondern personelle Konsequenzen auf allen politischen und amtlichen Ebenen zu ziehen.
Mir stellt sich unweigerlich die Frage, wie ein System, das schon mit seiner Grundexistenz überfordert ist und an der Belastungsgrenze kratzt, noch funktionieren soll, wenn man es zusätzlich mit den Daten von 81 Millionen Menschen überschüttet? Denn darauf haben Politik und die Befürworter der Überwachung bisher noch keine Antworten geliefert.